Die Tierbraut | Abschlussarbeit Teil 7|8
von dorastochter
Tierbraut (AT 402)
Feenfrau
Auch das Märchen der Tierbraut stellt ein bestimmtes Motiv dar - im Aarne-Thompson-Index als Nr. 402 ausgewiesen - und zeigt ein charakteristisches Muster, das in vielfachen Varianten vorliegt. In Tausendundeiner Nacht, im Märchen von Peri Banou, ist die Braut des Jüngsten kein Tier sondern eine Feenkönigin – wobei sich „Peri Banou“ von „Fairy Banou“, „Feenfrau“ ableitet. In Europa ist der Frosch die wahrscheinlich häufigste Erscheinungsform der Tierbraut. Kurz zusammen getragen gestalten sich die Charakteristika des Tierbraut-Märchens etwa wie folgt:
Zusammenfassung für AT 402
„Einer von drei Brüdern soll Haus und Hof bzw. das Königreich erben, der den feinsten Stoff, das am besten gebackene Brot, den kostbarsten Ring oder die schönste Braut zu bringen vermag. Durch schicksalsbestimmende Gegenstände (Pfeil, Feder, rollende Kugel, Baum) gelangt der Jüngste zu einer Froschfrau, Maus oder Katze, die ihn als Bräutigam wählt. Er dient und bewährt sich bei ihr, die unterirdisch wohnt: Loch, Sumpf, verwunschenes Schloss etc. Darauf erhält er von ihr die wunderbaren Gaben und erfüllt die Bedingung. Dies wird jedoch wiederholt, aber immer bringt der Jüngste von der Tierbraut die verlangten Gaben. Schliesslich erscheint die Fröschin (Maus, Katze) mit dem Jungen selbst und wandelt sich zur schönsten Frau und Braut. Die Verwandlung vollzieht sich oft durch Köpfen, Ertränken oder durch das Verbrennen des Felles. Der Jüngste erhält nun das Königreich oder bekommt eines durch seine Frau.“ (Online-Märchenlexikon, Edition Amalia)
Zarewna Frosch, Märchen aus Russland
Erste Sequenz
Ein Zar bittet seine drei Söhne Pfeil und Bogen zu nehmen und ihre Pfeile abzuschiessen – da, wo ihr Pfeil hinfällt, da sollten sie ihre Braut finden. Der Pfeil des Jüngsten landet bei einem Frosch. Iwan, der Zarensohn, fügt sich in sein Schicksal und heiratet die Frosch-Braut. Der Zar stellt seinen Schwiegertöchtern verschiedene Aufgaben. Zuerst bestellt er von jeder ein Hemd. Das Fröschlein beruhigt seinen Mann, er möge sich keine Sorgen machen, und wie dieser schläft, verwandelt es sich in Wassilissa die Weise. Sie klatscht in die Hände und ruft ihre Helferinnen herbei, die ein wunderbares Hemd nähen. Dieses ist von den drei vorgebrachten Hemden mit Abstand das Schönste. Dann sollte jede der drei Frauen ein Brot backen. Wieder verwandelt sich der Frosch heimlich in Wassilissa die Weise, klatscht in die Hände und ruft ihre Helferinnen herbei, die ein wunderbares, reich verziertes Brot backen. Es ist zweifelsohne das kunstvollste Brot von allen dreien. Schliesslich sollen die drei Söhne mit ihren Frauen zu einem Festmahl beim Zaren erscheinen. Wieder beschwichtig das Fröschlein seinen Mann, er möge sich keine Sorgen machen und alleine hinfahren, sie würde später nachkommen. Wenn er es krachen höre, soll er nicht erschrecken, sondern sagen, sein Fröschlein käme in einem Kästchen gefahren. Mit grossem Gepolter braust eine goldene Kutsche heran, die von sechs Schimmeln gezogen wird, und Wassilissa die Weise steigt aus. Sie trägt ein himmelblaues Kleid mit Sternen besät, auf dem Haupt einen schimmernden Mond und ist dabei unbeschreiblich schön. Während des Festessens schüttet sie ein wenig Wein in den linken Ärmel und steckt vom Schwanenbraten die Knöchlein in den rechten Ärmel. Beim Tanz schüttelt sie erst den linken Ärmel und es entsteht sogleich ein See, dann den rechten, da schwimmen weisse Schwäne auf der Flut. Iwan, der Zarensohn stiehlt sich heimlich davon und verbrennt die Froschhaut. Als Wassilissa die Weise dies bemerkt, sagt sie zu Iwan, dass er nur noch drei Tage hätte warten müssen, bis sie die Froschhaut hätte ablegen können. Beim Abschied sagt sie ihm, dass er sie im dreimal zehnten Reich bei Kostschej, den vorm Tode Gefeiten suchen soll und fliegt als Schwan davon.
Zweite Sequenz
Iwan weint bitterlich, verneigt sich in alle vier Himmelsrichtungen und zieht dann in die weite Welt, um seine Frau zu suchen. Da begegnet ihm ein uraltes Männlein, das ihm verrät, dass Wassilissa die Weise klüger und gewitzter war als ihr Vater und dieser sie deshalb für drei Jahre in einen Frosch verwandelt habe. Er gibt ihm ein Garnknäuel, dem sollte er folgen. Iwan folgt dem Knäuel, das vor ihm her rollt, da trifft er auf einen Bären. Wie er diesen erlegen will, spricht der Bär mit menschlicher Stimme zu ihm, er möge ihn doch verschonen, er könnte ihm noch nützlich sein. Iwan verschont ihn. Dasselbe trägt sich noch mit einem Erpel und einem Hasen zu. Schliesslich trifft Iwan auf einen gestrandeten Hecht, den er auf seine Bitte hin ins Meer wirft. Das Knäuel rollt in den Wald und vor die Hütte der Baba-Jaga. Iwan bringt das Hüttchen, das sich um sich selber dreht zum Stehen und tritt ein, wo die Baba-Jaga Knochenbein auf dem Ofen hockt. Sie verrät ihm, dass der Tod von Kostschej, dem vorm Tode Gefeiten, an einer Nadelspitze hängt, die Nadel in einem Ei verborgen ist, das Ei in einer Ente, die Ente in einem Hasen, dass der Hase in einer steinernen Truhe sitzt und die Truhe auf einem hohen Eichenbaum steht, den Kostschej wie seinen Augapfel hütet. Iwan zieht los und findet die Eiche, da kommt auch gleich ein Bär gelaufen und reisst die Eiche mit der Wurzel aus, worauf die Truhe herunter fällt und zerspringt. Aus der Truhe springt ein Hase, aber sogleich setzt ihm der erste Hase nach, überholt ihn und zerreisst ihn in Stücke. Aus dem Hasen schwingt sich eine Ente in die Luft, aber da kommt auch schon der Erpel und fliegt ihr nach. Sie verliert das Ei, das fällt ins Meer. Da kommt der Hecht mit dem Ei ans Ufer geschwommen, Iwan zerbricht es, nimmt die Nadel daraus hervor und bricht die Spitze ab – und Kostschej muss sterben. Iwan tritt in dessen Gemächer ein, wo ihm Wassilissa die Weise entgegen eilt. Zusammen kehren sie zurück und leben glücklich bis an ihr Ende. (Vollversion hier)
Transformationen
In diesem Märchen wurden einige Transformationen vorgenommen, die wir uns ein wenig genauer anschauen sollten. Wenn wir die Göttin-Heros-Struktur im Auge behalten, können wir mühelos erkennen, welche Figuren eigentlich funktionslos sind und offensichtlich nachträglich eingefügt wurden. Hier sind es die beiden älteren Brüder und ihre Frauen. Diese Figuren erklären lediglich die Märchenhandlung neu, die in ihrem ursprünglichen Zusammenhang offensichtlich nicht mehr verstanden wurde oder nicht mehr verstanden werden sollte. Was der Vater von seinen Schwiegertöchtern verlangt, sind eigentliche Heiratsaufgaben, die ursprünglich die Göttin ihrem Heros stellt. Wo dies nicht mehr verstanden wird, ergibt auch die Handlung keinen Sinn mehr, weshalb Figuren eingeführt werden, welche die bestehende Handlung neu motivieren – in diesem Fall ist es die Konkurrenz unter den Brüdern wie auch unter deren Frauen, die sich um die Gunst des Zaren befleissigen. Jetzt geht es darum, welche das schönste Hemd herstellt oder das beste Brot bäckt und nicht mehr darum, dass der Heros in der Begegnung mit der Göttin in Tiergestalt seine Prüfung besteht.
Heros-Initiation und Göttin in Froschgestalt
Derungs hat sich anhand von Schweizer Sagen aus dem Wallis mit dem Zusammenhang zwischen der Heros-Initiation und der Göttin in Frosch- oder Krötengestalt eingehend auseinandergesetzt. Häufig begegnet ein junger Mann einer Prinzessin oder schönen jungen Frau, die einen Schatz hütet. Sie sagt ihm, dass sie hintereinander in drei verschiedenen Tiergestalten auf ihn zukommen würde und bittet ihn, sie in allen diesen Erscheinungen (z.B. als Löwe, Schlange und Kröte, manchmal auch Drache) zu küssen. Das ist die eigentliche Prüfung und kampflose Initiation des Heros. Dadurch, dass er die Göttin in ihren verschiedenen Erscheinungsformen küsst, erweist er sich ihrer als würdig, denn er ist im Besitz eines magischen Wissens und versteht die Prüfung, die er dann auch besteht. Der Heros kann sich eben nicht einfach die Rosinen heraus picken, nur die schönen und leichten Seiten des Lebens für sich beanspruchen - zu seiner Reife gehört mit dazu, dass er auch die Vergänglichkeit, das Sterben, die Urgewalten des Lebens respektiert. Die Göttin in Tiergestalt konfrontiert den Heros mit ihren chthonischen Aspekten. Wo er diese achtet, kommt er in Genuss der "schönsten Frau" von allen.
Die Schätze der Erde
Der Schatz, den die „Prinzessin“ hütet ist all das, was der Heros nach erfolgreicher Initiation erhält: Die Heros-Würde, Land und Thron, vor allem aber sind es die Schätze der Erde wie Früchte, Korn und alles, was es für ein gutes Leben braucht, das heisst, die Göttin selbst. Wo sich der Heros in die Ordnung der Göttin integriert, wird er von ihr reich beschenkt und die Initiation führt auch zu seiner erotischen Inthronisation.1 Das entspricht genau dem matriarchalen Weltverständnis, wonach der Mensch in die Natur eingebettet ist. Der Heros repräsentiert, wie wir bereits gesehen haben, die gesamte sterbliche Welt. Das Märchen-Bild bringt genau dies zum Ausdruck: Wo der Mensch sich in die Natur fügt und mit ihr anstatt gegen sie lebt, hat er als ein Teil von ihr auch Zugang zu ihren Mysterien und ihrem unerschöpflichen Reichtum.
Variantenvergleich
In der Schweizer Sage vom „dummen Peter“ ist es eine Mutter, die ihre drei Söhne mit je einem Bündel Flachs ausschickt. Jener, dessen Mädchen das schönste Garn spinnt, soll das kleine Gut erben. Der Jüngste, der dumme Peter, gerät an einen Frosch, der ihm den Flachs über Nacht verspinnt und ihn dann bittet, die Hochzeit auszurichten. Peter tut dies, worauf sich das Fröschlein bei der Trauung in eine wunderschöne Jungfrau verwandelt.2 Auch in dem Schweizer Märchen vom „Fröschlein mit dem roten Halsband“ haben wir es mit einer Mutter zu tun. Ihr Sohn freundet sich beim Holzsammeln mit einem Fröschlein an, das er schliesslich vor einem Vogel rettet und mit nach Hause nimmt. Das Fröschlein bringt Glück ins Haus, plötzlich ist Geld da, mit dem der Sohn eine Ausbildung machen kann. Schliesslich kehrt er heim, worauf sich der Frosch in eine wunderschöne junge Frau verwandelt und zu ihm sagt: „Ich war die Froschkönigin und habe wohl gemerkt, dass du ein gutes, braves Kind warst, vor allem, wie gut du deine Mutter behandelt hast. Deshalb frage ich dich jetzt, ob du mich zur Frau nehmen willst.“ Sie heiraten und wie sie von der Brautmesse nach Hause kommen, steht da anstatt der Hütte ein schönes Schloss.3
Die Mutter und die Froschkönigin
Hier wird es sogar direkt ausgesprochen: Die Froschkönigin trägt dem Helden die Heirat an, weil er seine Mutter gut behandelt hat. Damit kommt zum Ausdruck, dass er mit der Göttin (Mutter) in Verbindung steht und in ihre Mysterien eingeweiht wurde, worauf die Göttin (Frosch-Frau) ihm die Heros-Würde verleiht und mit ihm die Heilige Hochzeit feiert. Die Mutter und die Froschkönigin sind wiederum zwei verschiedene Aspekte ein- und derselben Göttin. Auch die Verwandlung der Hütte in ein Schloss ist nicht als sozialer Aufstieg in einer Klassengesellschaft zu verstehen, sondern als ein Zeichen der sakralen Erhöhung des Heros, der von der Göttin reich beschenkt wird. Die Initiation erfolgt wie bereits bei der Sage vom „dummen Peter“ durch die Frosch-Frau und die Mutter (sie ist es, die ihn auf den Initiationsweg schickt, indem sie ihm das Geld für die Ausbildung gibt).
Wassilissa die Weise
Für unser Märchen von „Zarewna Frosch“ dürfen wir nun vermuten, dass ursprünglich kein Vater mit drei Söhnen am Anfang stand, der sich zu seiner Erbauung Enkelkinder wünscht, sondern die Göttin in ihrem dritten Aspekt, die dem Heros Heiratsaufgaben stellt, wohl in ähnlicher Weise wie in der Sage vom „dummen Peter“, wo die Mutter den Helden zu „seinem Mädchen“ schickt, um den Flachs zu verspinnen. Wassilissa die Weise zeigt eine Menge von Attributen, die sie als Göttin ausweisen. Sie trägt trotz ihres jugendlichen Alters den Beinamen „die Weise“ und ist offensichtlich zauberkundig. Sie kann Helferinnen herbeirufen, um ein wunderbares Hemd herzustellen oder ein kunstvolles Brot zu backen, sie kann Wein in einen See und Knochen von einem Schwan in lebende Schwäne verwandeln, und sie kann ihre Gestalt wechseln (Frau, Frosch und Schwan). Zudem trägt sie zum Fest ein sternengewirktes Kleid und einen schimmernden Mond, was sie als Mädchen-Göttin ausweist.
Göttinnen haben ursprünglich keine Väter
Göttinnen haben ursprünglich keine Väter, aber häufig Mütter – zumindest mythologisch geht die Göttin als mythologische Tochter immer wieder aus sich selbst hervor. Gerade wenn Wassilissa ihre Helferinnen herbeiruft und ihnen aufträgt, sie sollen ein Hemd nähen und ein Brot backen, wie sie es bei ihrem Väterchen gesehen hat, können wir erahnen, dass die Göttin hier mal wieder den langen Bart der Patriarchalisierung trägt. Nicht nur wird auf Künste hingewiesen, die traditionell mit der Göttin verbunden sind, sondern auch die Frauen und Mägde, die Wassilissa herbeiruft verweisen darauf, dass es hier um etwas geht, das in Frauenhänden liegt.
Der Ofen als Mutterleib
Die Herstellung eines Hemdes gehört in den Bereich des Spinnens und Webens, dessen mythologische Bewandtnis wir bereits kennen gelernt haben. Aber auch das Backen des Brots geht in seiner Bedeutung weit über das Profane hinaus – das geerntete und verarbeitete Korn wird im Ofen, der als Mutterleib gilt, zu Brot gebacken, das wiederum Leben nährt und erhält. Marija Gimbutas weist explizit auf die Symbolik des Backofens hin, der als der schwangere, ewig schenkende Bauch der Göttin gesehen und in entsprechender Form gebaut wurde.4 Indem Iwan sich seiner Frosch-Frau hingibt, integriert er sich in ihren göttlichen Kosmos und ist durch sie in die ewigen Kreisläufe von Leben und Tod eingebettet. Damit hat er auch Teil an ihrer unerschöpflichen Fülle. Die erfolgreiche Initiation des Heros und die damit verbundene Heilige Hochzeit mit Wassilissa der Weisen lassen sich hier also noch ablesen.
Figuren, die vermännlicht wurden
Dass es das „Väterchen“ nicht verkraftet haben soll, dass seine Tochter klüger und gewitzter zur Welt gekommen sei als es selbst, entspricht zwar patriarchalem Denken, dient hier aber lediglich als neue Erklärung für die nicht mehr verstandene Heiratsprüfung (Froschgestalt der Göttin). Was auffällt ist, dass denn auch gerade die Stelle, an der verraten wird, warum die Zarewna in einen Frosch verwandelt wurde, sehr starke Transformationen zeigt. Auch das Männlein mit dem Garnknäuel erliegt der Crux der Maskularisierung einer einst weiblichen Figuren und führt, um es ganz sicher zu machen, ein frisches „Grüss Gott“ im Mund, womit sich die transformierte Figur zusätzlich als guter Christ ausweist. Im Märchen „Das Federchen von Finist, dem edlen Falken“ haben wir das magische Garnknäuel im Zusammenhang mit der Baba-Jaga bereits kennen gelernt – dieses taucht auch in anderen Märchen in Verbindung mit ihr auf. Es ist denkbar, dass die Baba-Jaga auch in diesem Märchen dreifach erschienen ist, eine der Baby-Jagi transformiert und eine weg gelassen wurde – gewiss aber verbirgt sich hinter dem uralten Männlein eine alte Frau. Das zeigt sich nicht zuletzt auch darin, dass sie die Initiation des Helden begleitet. Sie gibt ihm schliesslich nicht nur ein Wissen mit, nämlich jenes, dass nicht er seiner Frau die Froschhaut gegeben hat, es also auch nicht an ihm war, sie ihr zu nehmen, sondern weist ihm darüber hinaus mit dem Garnknäuel auch den Weg zur Baba-Jaga.
Kostscheij, der vorm Tod Gefeite
Tatsächlich hat Iwan die Froschhaut zu früh verbrannt. Damit kommt sein "Unwissen" zum Ausdruck, denn in die tieferen Mysterien der Göttin war er noch nicht eingeweiht. Dieses magische Wissen erwirbt er sich erst während seiner Jenseitsreise auf der Suche nach seiner Frau in der zweiten Sequenz. Niemand Geringeren sollte er aufsuchen als Kostschej, den vorm Tod Gefeiten. Weiter verweisen die Entrückung von Wassilissa, das Erscheinen der alten Frau (uraltes Männlein) und der Baba-Jaga auf den jenseitigen Bereich. Neben der Baba-Jaga, die wir schon ein wenig kennen, gehören auch Wassilissa (auch Vasilisa) und Kostschej, der vorm Tod Gefeite (manchmal auch der unsterbliche Kostschej) fest zum russischen „Märchenpersonal“, weshalb wir auch manche Märchen zur Erhellung herbeiziehen können, die keine direkten Varianten von „Zarewna Frosch“ sind. Der Name Kostschej kommt vom russischen Wort „kostj“, das „Knochen“ bedeutet. Dabei tritt Kostschej nicht als Tod auf, sondern muss von den Märchenhelden in seiner Unsterblichkeit überwunden werden, was nur möglich ist, wenn sie seinen Tod, der meistens in einem Ei versteckt ist, finden. Allerdings kennt einzig die Baba-Jaga den Weg zu ihm, und nur sie weiss, wie er zu besiegen ist.5
Die Baba-Jaga auf dem Ofen
Im Märchen von „Zarewna Frosch“ gelangt der Held dank des magischen Garnknäuels denn auch zu ihrem Häuschen, das sich um sich selber dreht. Er kennt den Spruch, mit welchem er es zum Stehen bringen und eintreten kann. Hier findet er die Baba-Jaga auf ihrem Ofen. Die Verbindung von Feuer- bzw. Herdkult und Ahnenverehrung ist vielfach belegt. Die Ahnen werden und wurden am Herd, der als ihr Wohnsitz gilt, verehrt. Das Märchen weist die Baba-Jaga auf ihrem Ofen hier sehr plastisch als übergrosse Ahnmutter aus, als die Greisingöttin, die für den Kreislauf von Leben und Tod verantwortlich ist. Sie nimmt das Leben, wandelt es und gibt es wieder frei für die Wiedergeburt. Dabei ist das Feuer ihr Werkzeug und Mittel zur Verwandlung.6 Wie wir bereits gesehen haben, fällt auch die Initiation in ihren Bereich – sie unterweist Iwan, worauf er seine Aufgabe lösen und die glückliche Wiedergeburt erreichen kann.
Wassilissa und die drei Sphären
Im Märchen von „Zarewna Frosch“ bleibt der Heros in seiner Symbolik genauso auf die Göttin bezogen, wie wir es bereits beim „Borstenkind“ gesehen haben. Wassilissa die Weise zaubert während des Festes aus Knochen Schwäne hervor und verwandelt sich später selbst in einen Schwan. Sie zeigt dabei nicht nur, dass sie Tod in Leben verwandeln kann, sondern auch ihre Verbundenheit mit allen drei Sphären der Welt (Stockwerk-Weltbild). Wasservögel gehören zu den wenigen Tieren, die Himmel, Land und Wasser gleichermassen zum Lebensraum haben. Darüber hinaus verbindet der Schwan mit seinem weissen Federkleid, dem roten Schnabel und dem schwarzen Höcker die drei heiligen matriarchalen Farben (Weiss, Rot, Schwarz), die ebenfalls mit den verschiedenen Sphären und Jahreszeiten verbunden sind. Auch deshalb steht der Schwan in enger Beziehung zur Göttin. In der Redewendung „mir schwant etwas“ kommt noch immer zum Ausdruck, dass der Schwan etwas mit Ahnung, Vorhersehung und Weisheit zu tun hat, wir kennen ihn aber auch in der Verbindung mit der Liebe (beispielsweise als Begleittier von Leda).
Verbindung des Heros mit den drei Sphären
In unserem Märchen begegnet der Heros auf seiner Jenseits-Reise verschiedenen Tieren, die er verschont, worauf sie ihm später dabei helfen, den Tod des unsterblichen Kostschej zu überwinden. Dass er die Tiere einigermassen motivationslos zu töten gedenkt, um sie auf ihr Bitten hin am Leben zu lassen, dürfte wie so manches andere im Verlauf der Zeit verändert worden sein. Das Wesentliche können wir aber noch immer deutlich ablesen. Die Tiere zeigen die drei Sphären an. Der Erpel steht hier entsprechend des Stockwerk-Weltbilds für die Oberwelt (Himmel), Bär und Hase für die mittlere Welt (Land) und der Hecht für die Unterwelt (hier ist es das Wasser). Da die drei Sphären auch mit den drei Aspekten der Göttin einhergehen, wird erkennbar, dass der Heros durch seine Tierverbündeten das kultisch-magische Wissen erwirbt, das ihn an die Göttin angleicht. Ohne dieses Wissen ist er nicht in der Lage, seine Aufgabe zu lösen. Erst wenn er den unsterblichen Kostschej überwindet, kann er zu Wassilissa der Weisen gelangen, die ihn zurück ins Leben führt. Dass der Tod des Kostschej ausgerechnet in einem Ei versteckt ist, dürfte uns nachdem wir seine Symbolik bereits kennen, kaum noch erstaunen.
Die Sache mit der Unsterblichkeit
Besonders interessant erscheint der Umstand, dass Kostschej für sich beansprucht, unsterblich zu sein. Gerade in frühpatriarchalen Zeiten begegnen wir immer wieder Helden, welche sich nicht mehr in die natürliche mütterliche Ordnung einfügen wollen, den Tod nicht mehr respektieren und für sich in Anspruch nehmen, unsterblich zu sein – allen voran Gilgamesch.7 Eine lineare Vorstellung von Zeit gehört zur Bildung von Herrschaft unabdingbar dazu, denn es geht hier ja gerade darum, einen Machtanspruch auf immer und ewig zu legitimieren, während zuvor die sakrale Königswürde in der Folge von Werden, Sterben und Wiederkehren immer wieder an einen Nachfolger weiter gegeben wurde. In einem linearen Zeitverständnis wird der Tod jedoch zu etwas Endgültigem und erhält so eine ganz neue Bedeutung. Unsterblichkeit bedeutet nun das Festhalten an der errungenen Macht, während Unsterblichkeit in einem matriarchalen Sinn nur durch das Hindurchgehen durch den Tod möglich ist. Wie wir schon gesehen haben, bilden Mythen durchaus geschichtliche Begebenheiten ab. Es deutet vieles darauf hin, dass sich hinter Kostschej der Typus des frühpatriarchalen Herrschers mit seinen entsprechenden Ansprüchen verbirgt, der hier vom matriarchalen Helden überwunden wird.
Göttin-Heros-Struktur im vorliegenden Märchen
Auch für das Märchen von „Zarewna Frosch“ können wir die Göttin-Heros-Struktur vollständig nachvollziehen. In der ersten Sequenz erlebt der Heros seine Initiation (Hingabe an seine Frosch-Frau), feiert die Heilige Hochzeit mit ihr und wird reich beschenkt. Nach der Entrückung von Wassilissa begibt er sich auf seine Jenseitsreise (Tod), gleicht sich an die Göttin an indem er ihre Mysterien verstehen lernt und erfährt schliesslich seine glückliche Wiedergeburt (Rückkehr in die diesseitige Welt).
Literatur =>
1 Derungs 1994, S. 146 ff.
2 „Die Sage vom dummen Peter“, Link
3 „Das Fröschlein mit dem roten Halsband“, Link
4 Gimbutas 1989, S. 148 f.
5 Geier in Afanasjew 1989, S. 316 f.
6 Schönbacher 2006, S. 64 und 73 f.
7 Vgl. Göttner-Abendroth 2004, S. 47 ff.